Wie erklärt man heutzutage Kindern Religion? Das ist gar nicht so einfach, meinte der Schriftsteller Navid Kermani einmal, es sei ungefähr so, als wollte man das Schwimmen erklären, ohne dabei die Möglichkeit zu haben, ins Wasser zu steigen. Denn heutige Kinder wachsen im säkularen Mainstream einer Konsumgesellschaft auf, der geprägt ist von Leistungsdenken und medialer Dau- erberieselung. Der christlichen Religion fällt allenfalls noch eine Nebenrolle zu, sie bleibt fast immer außeralltäglich. Für den weltanschaulich interessier- ten Zeitgenossen mag es immerhin ein durchaus reichhaltiges Angebot guter spiritueller Bücher und Achtsamkeitskurse geben, aber für Kinder hat unsere Gesellschaft nur wenig Sinnstiftendes anzubieten, in das man auch gemein- schaftlich im Alltag schwimmen und eintauchen kann. Sie werden religiös gesehen in einem gewaltigen Vakuum groß.
Durch Pfingsten kommt jene Kraft ins Leben, die Kinder brauchen
Liebe Gemeindemitglieder,
liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Gäste,
Kindern unter heutigen Bedingungen das Pfingstfest nahezubringen, scheint da eine besonders große Hürde. Eine Tradition, an die man fast nicht mehr herankommt. Vielleicht sind Weihnachten und Ostern auf den ersten Blick besser geeignet für schöne, kindgerechte Gottesdienste und Bräuche. Doch die größte Alltagsrelevanz von al- len Festen, die die Kirche anbietet, hätte eigentlich Pfingsten: Die Urgemeinde empfängt den kreativen, ermutigenden, befreienden Geist Gottes, er kommt wie „Feuerzungen“ auf die Jüngerinnen und Jünger herab, sie sind beglückt und berauscht, als wären sie „von süßem Wein betrunken“. Diese Geschichte dürfen Sie den Kindern gerne vorlesen und sich mit ihnen darüber austauschen, wofür sie gerne brennen, sich begeis- tern, was sie inspiriert und kreativ werden lässt. Denn genau dort erleben wir den Heiligen Geist. Es ist absolut nötig, dass Pfingsten für unsere Kinder wie- der geschieht.
Mit meinen Schülern in St. Johann Blönried entzünde ich ein großes Pfingstfeuer. Alle erhalten ein Stück Holz und schreiben darauf, wo sie sich das „Feuer des Heiligen Geistes“ in ihrem Leben wünschen und legen das Holz ins Feuer. Durch Pfingsten kommt genau die Kraft ins Leben, die Kinder brauchen, um gesund und groß zu werden und in den Turbulenzen des alltäglichen Lebens zu bestehen. Der Heilige Geist steht für Kreativität, neuen Lebensatem, Inspiration, frischen Wind, Bewegung, inneres Feuer, Beistand, Weite, Freiheit, Verbundenheit, inneren Antrieb, Durchhaltevermögen, Lebenslust, Selbstheilung und Regeneration.
Ich lade Sie ein, mit dem uralten Pfingsthymnus für unsere Kinder zu beten: Veni creator spiritus. Komm kreativer und schöpferischer Geist. Schenke den Kindern genug Freiraum, um sich bewegen und aufatmen zu können und ihre Geistesgaben kreativ zu entfalten.
Darauf kommt es jetzt an. Denn die Kindheit ist in der Krise. Anzeichen gibt es viele, wie zum Beispiel die Konzent- rationsprobleme, die fast epidemische Ausmaße annehmen: Nie zuvor wurden in Deutschland so viele ADHS-Diagnosen bei Kindern gestellt wie jetzt (in den USA bereits bei bis zu 15 %). Doch haben die Gehirne unserer Kinder plötzlich alle Ritalin-Mangel? Wohl kaum. Diese Medikamente mögen im Einzelfall hilfreich sein, letztendlich behandeln wir damit aber nur die Symptome, nicht die Ursachen.
Auch wurde in den vergangenen Wochen immer wieder berichtet, dass die Lesefähigkeit der Kinder weiter abnimmt. Ein weiterer trauriger Trend, der seit vielen Jahren ungebremst voranschreitet. Viele Bildungsprogramme westlicher Staaten haben die Situation leider noch verschlimmbessert. Auf die nachlassenden schulischen Leistungen reagiert man mit immer mehr standardisierten Tests und einem Unterricht, der vor allem auf diese Tests vorbereitet. In den USA war der „No child left behind act“ unter Georg W. Bush prägend. Alles wurde dem Ziel untergeordnet, das Abschneiden bei Prüfungen zu verbessern, kreative Fächer wurden gekürzt, das Ergebnis war, wie zu erwarten, fatal. Immerhin geht Finnland einen ganz anderen Weg und ist damit bildungspolitisch recht erfolgreich. Nach jeder Schulstunde ist für die Kinder eine 15-minütige Phase des freien Spiels vorgesehen, der Unterricht dauert von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr, dann ist Schluss. Die Leistungen der Schüler sind höher, die ADHS-Zah- len sehr viel niedriger, Ritalin wird nur in seltenen Fällen verschrieben.
Seit Jahrzehntausenden haben Menschenkinder ihren Geist im freien, kreativen Spiel mit Gleichaltrigen geschult, ohne dass Erwachsene dabei allzu wichtig gewesen wären. Heute verbringen leider viele Kinder auch ihre Frei- zeit unter der permanenten Aufsicht Erwachsener oder werden vor dem Bildschirm ruhiggestellt.
Angesichts dieser Entwicklungen sind die Worte der Bibel heilsame Mahnungen: „Löscht den Geist nicht aus“ (1 Tess 5,19 ) und „Wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit“ (2 Kor 3,17).
Der Philosoph Plutarch meinte: „Der menschliche Geist ist kein Schiff, das man beladen kann, sondern ein Feuer, das man entfachen muss.“
Ich hoffe, mein Pfingstimpuls hat Sie inspiriert für Ihr Beten und Ihr Tun. Veni creator spiritus. Das ist auch mein Wunsch für Sie. Herzlich,
Ihr Diakon David Bösl